Mit der Entscheidungslösung zu mehr Organspenden

Möchte ich nach meinem Tod Organe spenden oder nicht? Eine wichtige Frage, die sich jeder stellen sollte. Denn für viele Schwerkranke ist eine Transplantation lebensnotwendig. Aber es gibt zu wenig Spender. Auch die 2020 eingeführten Maßnahmen zur Stärkung der in Deutschland geltenden Entscheidungslösung hat daran nichts geändert.

Was heißt Entscheidungslösung?

Gesellschaften gehen mit dem Thema Organspende unterschiedlich um. Dabei gibt es im Prinzip zwei gegensätzliche Herangehensweisen: Entweder jeder gilt als Organspender – es sei denn, er hat ausdrücklich abgelehnt. Oder keiner gilt als Organspender – es sei denn, er hat ausdrücklich eingewilligt. Die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen der europäischen Staaten werden deshalb unter folgenden Begriffen zusammengefasst:

  • Widerspruchslösung: Verstorbene gelten grundsätzlich als Organspender – es sei denn, sie haben zu Lebzeiten Widerspruch eingelegt. So praktiziert es der Großteil der europäischen Länder, zum Beispiel England, Spanien oder Schweden (Quelle 1)). Oft gilt dabei die doppelte Widerspruchslösung: Dann haben auch Angehörige das Recht, die Organentnahme abzulehnen.
  • Zustimmungslösung: Verstorbene sind grundsätzlich keine Spender, es sei denn, sie haben zu Lebzeiten festgehalten, dass sie einer Organ- und Gewebespende zustimmen. Diese Lösung gilt zum Beispiel in Irland und Nordirland, Dänemark, Norwegen und Litauen. (Quelle 1)
  • Entscheidungslösung: Auch hier handelt es sich im Kern um die Zustimmungslösung. In Deutschland spricht man schon seit 2012 von der „Entscheidungslösung“: Dabei wird betont, wie wichtig es ist, sich zu informieren und eine Entscheidung für oder gegen die Organ- und Gewebespende zu treffen. (Quelle 1)

Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende

Anfang 2020 stand im Bundestag die Entscheidung über einen Paradigmenwechsel in Sachen Organspende an: Jens Spahn (CDU) und Karl-Josef Lauterbach (SPD) hatten einen Gesetzesentwurf eingebracht, mit dem Deutschland von der Zustimmungslösung auf die doppelte Widerspruchslösung umsteigen sollte. Darauf konnten sich die Abgeordneten jedoch nicht einigen. Eine Mehrheit bekam schließlich der Entwurf unter der Federführung von Annalena Baerbock (Grüne): Die Bürgerinnen und Bürger sollen verstärkt informiert und dazu aufgefordert werden, sich zu entscheiden. Außerdem sollen sie ihre Entscheidung in einer bundesweiten Datenbank speichern können (Quelle 2). Das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende (Quelle 3) trat 2022 in Kraft.

 

Entscheidungslösung im Bundestag
Deutscher Bundestag mit Organspendeausweis

Wie soll die verstärkte Entscheidungslösung mehr Organspenden bringen?

Spanien ist in Europa das Land mit den meisten Organspendern: 2020 kamen dort fast 38 Spender auf eine Million Einwohner. In Deutschland waren es nur elf (Quelle 4). In Spanien gilt die Widerspruchslösung: Wer dort untätig bleibt, wird zum Spender. Wer in Deutschland untätig bleibt, spendet nicht. Genau diese Gruppe der Untätigen will das Gesetz zur Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende in Deutschland erschließen, ohne dabei von der Zustimmungslösung auf die Widerspruchslösung zu wechseln.

Deshalb beschloss der Bundestag 2020 folgende Maßnahmen (Quelle 2):

  • Information: Wenn Menschen einen Personalausweis oder Pass beantragen, bekommen sie im Bürgeramt auch Informationen zur Organ- und Gewebespende.
  • Beratung: Hausärzte können ihre Patienten alle zwei Jahre zur Organspende beraten.
  • Dokumentation: Bisher gibt es den Organspendeausweis oder die Patientenverfügung, um eine Entscheidung zu dokumentieren. Das neue Gesetz sieht vor, eine bundesweite Datenbank zu schaffen, in der die Menschen ihre Entscheidung für oder gegen eine Organspende speichern können. Die Datenbank gibt es allerdings bis heute nicht.

Wie ist die Situation heute in Deutschland?

Rund 8500 Kranke warten in Deutschland auf ein Organ. Doch nur 2662 Organe konnten 2022 vermittelt werden. 869 Menschen haben gespendet – 64 weniger als 2021. Dabei sollte die Stärkung der Entscheidungslösung für mehr Organspenden sorgen und nicht für weniger. Für den Einbruch 2022 macht Dr. Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), zwar vor allem die Corona-Pandemie verantwortlich. Die Frage bleibe jedoch, „warum es nicht gelingt, die Organspendezahlen zu steigern“. (Quelle 5)

Organ- und Gewebespende

Ein toter Spender kann bei gesunden Organen vielen Menschen das Leben retten. Nieren, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse und der Dünndarm können transplantiert werden. Was nur wenige wissen: Auch mit der Spende von Gewebe – Hornhaut, Herzklappen oder Blutgefäßen – können sie helfen.

 

Dr. Rahmel von der DSO verweist auf Umfragen, die regelmäßig zeigen würden, dass acht von zehn Befragten Organspenden befürworten. Im Widerspruch dazu steht die hohe Zahl von möglichen Organspendern, also Verstorbenen, die 2022 nicht zu Spendern wurden. Zum Ausschluss können medizinische Gründe oder das Alter führen. Aber bei der Hälfte der Fälle, bei denen es nicht zur Spende kam, lag einfach keine Einwilligung vor.

Und das heißt nicht, dass die Verstorbenen dagegen gewesen wären. Ein ausdrückliches „Nein“ zu der Frage, ob sie nach ihrem Tod Organe spenden wollten, hatten nur 23,6 Prozent dieser möglichen Spender geäußert – mündlich oder schriftlich. In 77 Prozent der Fälle entschieden die Angehörigen gegen die Organ- und Gewebespende, ohne den Willen der Betroffenen zu kennen (Quelle 5).

Entscheidung entlastet Angehörige

„Angehörige entscheiden sich aus Unsicherheit häufig dagegen, da der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist“, sagt Dr. Rahmel. Auch ihnen sollte mit der Stärkung der Entscheidungslösung geholfen werden. Entlastet werden die Angehörigen jedoch nur, wenn sich wirklich jeder und jede mit dem Thema auseinandersetzt und die persönliche Entscheidung auch mitteilt. Das geht mündlich, schriftlich in Organspendeausweis oder Patientenverfügung und in der Zukunft vielleicht auch digital. (sas)

Entnahmekrankenhäuser sind verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu ernennen. Diese beraten Angehörige und koordinieren alle Vorgänge rund um die Organ- und Gewebespende im Haus. Schulen Sie Ihre Transplantationsbeauftragten mit unseren WebTV-Kurs Organspende.

 

 

Quelle 1: Organspenderegelungen in Europa | Organspende-Reform: Freiwillige Entscheidung oder gesellschaftliche Pflicht? | bpb.de

Quelle 2: Deutscher Bundestag – Organspenden: Mehrheit für die Entscheidungslösung

Quelle 3: Bundesgesetzblatt BGBl. Online-Archiv 1949 – 2022 | Bundesanzeiger Verlag

Quelle 4: Statistiken zur Organspende für Deutschland und Europa (organspende-info.de)

Quelle : Deutsche Stiftung Organtransplantation Pressemitteilungen Template (dso.de)