Qualitätsprüfung MD: Wie Pflegeheime Panik vermeiden können

Qualitätsprüfung! Der MD kommt! Es herrscht schnell Panik, wenn sich der Medizinische Dienst für den nächsten Tag zur Kontrolle ankündigt: So manche Einrichtungsleitung schickt dann noch schnell die Putzkolonne in alle Ecken. Unnötig, meint Susanne Seth vom MD Nordrhein. Webtvcampus hat sie erzählt, worauf sie und ihre Kollegen bei der Qualitätsprüfung achten.
Per Fax erhalten die rund 11.750 vollstationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland (Quelle 1) einmal im Jahr die Nachricht vom zuständigen Medizinischen Dienst: Er kündigt sich für den folgenden Tag zur Qualitätskontrolle an und bittet um die Bereitstellung bestimmter Daten. Die sollte das Heim jetzt vorbereiten, aber blinder Aktionismus sei überflüssig, sagt Susanne Seth, Teamleiterin Qualitätsprüfung beim MD Nordrhein: „Defizite entdecken wir immer.“ Bei den Prüfungen schaut sie vor allem auf den Versorgungszustand der Bewohner und Bewohnerinnen. Und ist der schlecht, lässt sich das nicht innerhalb von 24 Stunden grundlegend ändern.

Die Stichprobe für die Qualitätsprüfung des MD

Zumal die Einrichtung nicht weiß, welche neun Bewohnerinnen oder Bewohner sich die Prüfer am nächsten Tag genauer ansehen werden. Sechs davon wählt die Datenauswertungsstelle (DAS) aus, an die das Heim regelmäßig seine Bewohner meldet. Die DAS verschlüsselt diese ausgesuchten Bewohner mit Zahlencodes. Erst in der Einrichtung am Tag der Qualitätsprüfung entschlüsseln MD und Einrichtungsleitung zusammen die Codes. Drei weitere Bewohner wählen die Prüfer vor Ort aus. „Das sind dann zum Beispiel Leute, die erst vor kurzem in die Einrichtung gezogen sind und deren Daten noch nicht bei der DAS vorliegen“, erklärt Susanne Seth.

Gespräch mit den Bewohnern

Wenn die Bewohner ermittelt sind und ihr Einverständnis – beziehungsweise das der Angehörigen – vorliegt, gehen Prüfer oder Prüferin mit je einer Pflegefachkraft zu einer der ausgewählten Personen, zum Beispiel Frau Müller.

Es folgt ein intensives Gespräch mit Frau Müller, sofern sie auskunftsfähig ist. „Wie ist Ihr Tagesablauf?“, fragt Susanne Seth. „Bekommen Sie die Pflege, die Sie brauchen? Oder wird Ihnen immer der Rücken geschrubbt, obwohl Sie das selber können?“ Es geht um die Mahlzeiten, die Hilfe beim Toilettengang („Müssen Sie lange warten?“) und die Freizeit („Welche Angebote gibt es? Nehmen Sie teil? Werden Sie begleitet?“). Ein neues und wichtiges Thema ist der Aufenthalt im Freien. Darauf wurde bei der früheren Qualitätsprüfung des MD, als dieser noch MDK hieß, kein Wert gelegt. Jetzt fragt die Prüferin, ob Frau Müller gern an die frische Luft geht und ob das Pflegeheim ihr das ermöglicht.

Neue Qualitätsprüfung MD

Seit 2019 prüfen der Medizinische Dienst und der Prüfdienst der privaten Krankenversicherungen nach den neuen Qualitätsprüfungsrichtlinien für die vollstationäre Pflege (Quelle 2). Darin geht es vor allem um die individuelle Versorgungssituation des oder der Pflegebedürftigen. Die reine Dokumentation der pflegerischen Handlung verliert an Bedeutung – auch wenn sie immer noch vorliegen sollte. Die Position des Medizinischen Dienstes wird gestärkt, weil er im Gespräch mit den Pflegefachkräften und der Einrichtung auch beratend tätig wird. Die Regelprüfung einmal im Jahr muss am Tag vorher angekündigt werden. Anlassbezogene Prüfung aufgrund einer Beschwerde werden nach wie vor unangekündigt durchgeführt. Die Qualitätsdarstellungen der Heime mit den Ergebnissen der Qualitätsprüfung vom Medizinischen Dienst können zum Beispiel beim Pflegelotsen des Verbands Deutscher Ersatzkassen (Quelle 3) nachgelesen werden.

Die Augen prüfen mit

Bei manchen Bewohnern ist es nicht nur mit einem Gespräch getan. Sind sie zum Beispiel in ihrer Mobilität eingeschränkt, sitzen im Rollstuhl oder liegen viel, schaut sich Susanne Seth auch die Haut an – besonders am Rücken und am Gesäß. Damit sucht sie nach Anzeichen für einen Dekubitus. Auf Wunden wirft sie einen Blick, wenn der Verbandswechsel sowieso gerade ansteht. „Sonst lasse ich ihn nur abnehmen, wenn die Wunde schlecht riecht oder sonst irgendwie auffällig ist.“

Das Fachgespräch

Nach der Unterhaltung mit der versorgten Person spricht Susanne Seth in einem separaten Raum mit der Pflegefachkraft. Im Gegensatz zu früher, als eine Liste mit Ja/Nein-Fragen abgearbeitet wurde, fordert die Prüferin jetzt die Pflegefachkraft auf, den Tagesablauf mit Frau Müller zu schildern: „Was machen Sie denn bei der? Kommt sie selber aus dem Bett? Isst sie genug oder hat sie abgenommen? Und merkt sie noch den Harndrang in der Nacht?“ Auch das Alltagsleben ist Thema bei der Qualitätsprüfung des MD: Wie sind die sozialen Kontakte? Vergisst Frau Müller ständig das Mittagessen und muss daran erinnert werden?

Sinneswahrnehmungen und nächtliche Versorgung

„Neu ist auch, dass wir nach den Sinneswahrnehmungen fragen“, sagt Susanne Seth. Kann Frau Müller gut sehen und hören? Oder braucht sie Unterstützung beim Aufsetzen der Brille? „Häufig stellen wir zum Beispiel fest, dass jemand ein Hörgerät trägt, aber die Batterie alle ist.“ Und neu gegenüber den Prüfungen vor 2019 ist auch das Thema „Nächtliche Versorgung“: Kann Herr Meyer durchschlafen? Braucht er zum Einschlafen immer die Tagesthemen? Muss ich ihn wirklich um drei Uhr nachts wecken, damit er genug trinkt?

Schmerzmanagement und Wundversorgung

Susanne Seth fragt auch nach der medikamentösen Versorgung und prüft zusammen mit der Fachkraft, ob die Medikamente für Frau Müller mit der ärztlichen Verordnung übereinstimmen. Ein eigener Prüfaspekt ist das Schmerzmanagement bei Bewohnern mit chronischen Schmerzen: Wirkt die Medikation? Haben Sie eine Schmerzerfassung? Was hilft dem Menschen über die Medikamente hinaus gegen die Schmerzen? Bei Bewohnern mit chronischen Wunden geht es auch um deren Versorgung. Wenn besondere medizinisch-pflegerische Bedarfe bestehen – jemand beatmet oder über eine Magen-Sonde ernährt wird – muss das besprochen werden. Und wenn herausforderndes Verhalten oder psychische Problemlagen vorliegen – Frau Müller ruft ständig laut oder lässt sich von niemandem anfassen –, geht es darum, wie die Einrichtung damit umgeht.

Qualitätsprüfung: MD setzt Expertenstandards voraus

Das Fachwissen, das der Medizinische Dienst in allen pflegerischen Belangen voraussetzt, ist in den Expertenstandards dargelegt. In denen hat das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege wissenschaftlich erarbeitet, wie gute Pflege auszusehen hat. Es gibt sie nicht nur zum Schmerzmanagement und zur Versorgung chronischer Wunden, sondern auch zum Beispiel für Dekubitusprophylaxe, Sturzprophylaxe und Mundgesundheit. Susanne Seth fragt zwar nicht explizit: „Was steht dazu im Expertenstandard?“ Aber sie sagt: „Die Expertenstandards spielen bei der gesamten Prüfung eine Rolle. Was muss denn ein Schmerzmanagement beinhalten? Wird ein Sturzrisiko erkannt? Welche Dekubitusprophylaxe betreiben Sie? Im Fachgespräch fließen die Inhalte der Expertenstandards immer ein.“

Expertenstandards: Einrichtung ist in der Pflicht

Wenn es bei der Umsetzung der Expertenstandards hakt, liegt es der Erfahrung der Prüferin nach weniger an der Pflegefachkraft als an der Einrichtung. „Die Expertenstandards sind ja wissenschaftliche Werke“, sagt Susanne Seth, „die muss man erst von der wissenschaftlichen Sprache auf die Praxisebene bringen.“ Die Einrichtungen würden ihr dicke Ordner zeigen und sagen: „Hier, wir haben die Expertenstandards“. Und sie sage dann: „Ja, aber die Frau Müller und der Herr Meyer sind trotzdem im letzten Monat zweimal gestürzt. Und wir haben festgestellt, dass an allen Rollatoren die Bremse kaputt ist.“ Die Einrichtungsleitungen würden dann oft erkennen, dass die Expertenstandards doch nicht so bei den Mitarbeitern bekannt sind, wie sie dachten. „Sie müssen ihre Pflegefachkräfte eben auch darin schulen.“

Beratungsauftrag bei der Qualitätsprüfung des MD

Im Fachgespräch kommt der Medizinische Dienst auch seinem Beratungsauftrag nach. „Es wird besprochen, ob die Versorgung in Ordnung ist oder nicht.“ Wenn Frau Müller gegenüber der Prüferin einen wunden Po beklagt, redet diese mit der Fachkraft darüber: „Warum haben Sie sie nicht gelagert? Sie hätten doch eine Weichlagerungsmatratze besorgen müssen.“ Fachkräfte und auch Einrichtungen seien eigentlich immer einsichtig. Aber ist der Schaden, wie hier ein Dekubitus, schon eingetreten, wird das im Prüfbericht als „Defizit mit eingetretenen negativen Folgen“ vermerkt. Das ist die schlechteste von vier Kategorien. Die anderen drei: Keine Defizite; Auffälligkeiten, die keine Risiken oder negativen Folgen erwarten lassen; Defizit mit dem Risiko negativer Folgen.

Im Fachgespräch ist die Diskussion um das Wohl des Bewohners möglich. Das schätzen laut Susanne Seth beide Seiten – Prüfer wie Geprüfte. „Den Prüfern macht es mehr Spaß als früher, wo sie nur Ja/Nein-Fragen abgearbeitet haben.“ Und die Pflegefachkräfte fühlten sich wertgeschätzt, weil sie ihre fachliche Einschätzung geben könnten. Sie bäten deshalb die Einrichtungen ausdrücklich, ihnen eine Pflegefachkraft zur Seite zu stellen, die die versorgte Person gut kenne. „Das kommt bei den Einrichtungen sehr gut an.“ (sas)

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Quelle 1: Anzahl und Statistik der Alten- & Pflegeheime in Deutschland 2023 (pflegemarkt.com)
Quelle 2: Qualitätsprüfungen von Pflegeeinrichtungen | Pflegequalität | Medizinischer Dienst Bund (md-bund.de)
Quelle 3: www.pflegelotse.de